Wie ist es, zu einer Generation zu gehören, die den Untergang des Kaiserreichs, zwei Weltkriege und den Bau der Mauer miterlebt hat? Ich persönlich kann mir das ehrlich gesagt kaum vorstellen. Und doch habe ich seit kurzen eine leise Ahnung davon. Denn in Charlotte Links „Sturmzeit-Trilogie“ erblickt Felicia Degnelly 1896 in Ostpreußen das Licht der Welt. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr lebt sie friedlich in Berlin und verbringt sämtliche Ferien mit ihrer großen und alteingesessenen Familie auf deren Gut Lulinn in Ostpreußen. Doch dann werden der österreichisch-ungarische Thronfolger und seine Frau ermordet und nichts ist mehr wie es war. Das erste Buch von Charlotte Links Trilogie „Sturmzeit“ beginnt mit dem Attentat von Sarajevo und schildert im Folgenden wie die junge Felicia sich von einem verwöhnten Mädchen in eine realistische junge Frau entwickelt. Sie flüchtet sich in eine Ehe, weil sie ihre große Liebe nicht bekommen kann und das Leben plötzlich reichlich unbequem zu werden droht. Durch ihre störrische und manchmal etwas selbstherrliche Art landet Felicia am Ende als Krankenschwester in einem Feldlazarett. Sie, die verwöhnte Tochter aus gutem Hause muss nicht nur zahlreiche Verwundete pflegen sondern auch noch mit ansehen, wie Ihr eigener Vater erschossen wird. Später gerät sie zudem in Gefangenschaft und mitten in die Wirren der russischen Revolution.
Charlotte Link versteht es, neben einer Liebesgeschichte auch das Leben in und nach dem Ersten Weltkrieg anschaulich darzustellen. Im zweiten Band „Wilde Lupinen“ kommt Felicias Tochter Belle als weitere Hauptfigur hinzu. Ganz die Tochter ihrer Mutter bringt auch sie sich immer wieder in ungewollte und heikle Situationen. Während Felicia versucht, ihre Trauer um ihre im ersten Weltkrieg verstorbenen Angehörigen mit Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit zu verdrängen, lässt sich Belle auf eine Affäre ein, die ihr Leben für immer verändern wird. Ihre Schwester Susanne hingegen zieht es aufgrund mangelnder Liebe seitens ihrer Mutter immer weiter auf die Seite der Nazis, die im Zuge des Zweiten Weltkrieges Deutschland und damit auch Felicias Familie ins Chaos stürzen.
Sowohl Felicia als auch Susanne und Belle überleben den Krieg, doch ihre Herzen scheinen, wie die der meisten, gebrochen. Dennoch leben sie ihr Leben irgendwie weiter. Belle hauptsächlich in den USA, von wo aus Ihre Kinder Alexandra und Chris sich Ende der 70er Jahre aufmachen, um in Deutschland, dem Land ihrer Vorfahren ihr Glück zu versuchen. Dabei ist es immer noch Felicia, die die Fäden der Familie dort in der Hand hält. Von ihr, so scheint es, hat Alexandra ihren Geschäftssinn geerbt. So tritt sie, nicht ganz freiwillig, das riesige Erbe der Großmutter an. Wird sie es halten können?
Im dritten und letzten Band der Trilogie „Die Stunde der Erben“ spinnt Charlotte Link die Familiengeschichte der Degnellys weiter. Von den USA über Tel Aviv, Berlin und München, bis hin zum kleinen Dorf Bernowitz in der DDR reichen die Schauplätze, an denen sich die großen und kleinen Ereignisse der Familie abspielen. Charlotte Link schafft es, dass der Leser mitfiebert, sich mit den Figuren freut und mit ihnen leidet. Einmal angefangen, konnte ich keines der Bücher mehr aus der Hand legen. Das beste, um an lauen Sommerabenden auf dem Balkon im Kerzenschein zu schmökern.
Und noch etwas: bis zum Schluss konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Felicia nun leiden kann oder nicht.
Eure Hilde Wolf